Von Christina Sogl

Je schneller und wilder sich die Welt gefühlt um mich herum dreht, desto ruhiger wird es  in mir. Immer ruhiger. Und gleichzeitig platzt das reale Leben um mich herum aus den Nähten vor Fülle. Beinahe ganz ohne Facebook.

Ich komme schlichtweg nicht mehr dazu, Facebook zu bedienen. Weil die lebendige Welt die virtuelle überholt. Auch in mir drin. Ich liebe das – so habe ich es mir immer vorgestellt, vollkommen unskaliert!

Je mehr die virtuelle Welt uns bereichert, desto wichtiger wird es in meinen Augen, dass Begegnungen und Beziehungen sich nicht entkörpern, entsinnlichen, entfremden. Die Feuerprobe: Liebe und Intimität. Wenn wir sie nicht auch nur online wollen.

Je ruhiger ich werde, je mehr ich mich mit der Natur, mit meinen Buchprojekten und mit echten Menschen verbinde, die mich suchen, desto wirklicher wird meine Welt. Und es nährt mich so viel mehr: Die reale Begegnung, der persönliche Kontakt.

Dir gegenüber sitzen, dir in die Augen schauen, deinen Worten und deinem Körper lauschen, mich auf deine innere Welt einlassen, dich berühren, wenn es sein will. Das ist mir wichtig in der AKADEMIE. Damit wir Sinnlichkeit nicht verlieren und vergessen. Denn sie ist es, die Leben real und saftig macht – so, dass es nicht nur an uns vorbei zieht, sondern dass wir es in vollen Zügen trinken und satt sind danach. 

Mir wird immer klarer: Ich bin dafür da, bereit zu sein, wenn du mich suchst oder etwas, was ich habe. Ich bin hier und gehe meinen Dingen nach. So sinnlich, weich und flexibel ich kann – so dass Raum ist, wenn du mich brauchst. Du brauchst dich nur bemerkbar zu machen. 

Es ist wunderschön für mich, wenn du kommst. Wenn du mir Fragen stellst und meinen Antworten lauschen möchtest. Wenn du mir oder uns deine Seele und deinen Körper anvertraust, damit er tiefer heilen kann. Wenn du mit uns forschen magst, wie deine und meine, wie unsere großen Visionen, wie unsere Sehnsucht wahr werden kann.

Es ist nicht meins, umherzulaufen und dich zu suchen. Es ist meins, mich auf dich vorzubereiten, mit dir zu rechnen und mich auf dich zu freuen. Oh, und das tue ich! Denn ich weiß und höre es seit langem: Ich bin dieser Welt weit voraus. 

Und ich habe in dieser Kultur gelernt, mich dafür zu schämen. Ganz besonders für das, was die anderen nicht haben. Ich habe meine Kraft dabei verloren, hinter den Menschen her zu rennen und ihnen Dinge vor die Nase zu halten, die sie nicht sehen und wissen wollten. Es hat mich unnötig Kraft, gekostet die ich lieber dafür haben möchte, wenn du kommst – weil du weißt, dass es das hier nicht an jeder Straßenecke gibt, und weil du genau das suchst.

Seit 35 Jahren denke und tue ich Dinge, die jetzt langsam anfangen, von immer mehr Menschen gedacht zu werden. Und von den wenigsten immer noch gewagt. Die Zeit hat sich verändert. Es ist dringender geworden. 

Und ich bin so glücklich, dass ich den Weg gegangen bin, als noch Zeit war. Nicht unter Druck und aus der Not, sondern aus Neugier und Begeisterung für mehr. Mehr Leben, mehr Liebe, mehr Lust. 

Leben in unserer Kultur bedeutet seit jeher: Kontrolle. Ich habe mein Leben im Griff. Ich habe meine Aufgaben unter Kontrolle. Ich habe mich unter Kontrolle. Und damit ich so nicht zu kurz komme, habe ich auch die anderen unter Kontrolle. Vor allem meinen liebsten Menschen. 

Längst war die Kontrolle zum Selbstläufer geworden. Nur ein winzig kleiner Teil war mir noch bewusst (wenn ich es denn wissen wollte). Und auf den war ich stolz: Dass ich mein Leben und meine Beziehungen so gut „im Griff“ hatte. Den allergrößten Teil der Kontrolle hatte mein Körper mir abgenommen. Reflexhaft. Ohne dass ich überhaupt einen Gedanken daran verschwenden musste.

Ich war so stolz auf meine Willenskraft. Wieviel ich allein damit bewegen konnte. Einfach nur, weil ich es wollte. All das andere reflexhafte Geschehen unterhalb meines eigenen Radar entging mir.

Diese heimliche Choreografie – wie beides zusammen spielte. Erst als ich im Erforschen dessen, was ich kulturelles Trauma nenne, mit dem Thema Scham in Kontakt kam, wurde mir deutlich, wie fließend die Grenze zwischen meiner Willenskraft und dem Gehorsam gegenüber meiner Scham war. Meiner Angst – auch VOR Beschämung. Meinem Misstrauen.

Wie wunderbar, dass ich dabei meine Scham kennen und lieben gelernt habe. Tief in sie eingetaucht bin, um ihr nicht mehr gehorchen zu müssen, sondern mit ihrer Hilfe bereit zu sein für das, was ansteht für uns Menschen.

Es wird immer wichtiger, dass Menschen wie du und ich ihre Visionen real werden lassen. Sie und sich selbst sinnlich gebären. Aus dem Kopf in den Körper und auf die Erde. Denn wir brauchen Visionen, die uns vom Überleben ins Leben führen. In eine vollkommen neue Identität, die wir erahnen, aber noch nicht kennen.

Wir kommen nicht mehr ungeschoren davon. Es betrifft jeden. Egal ob die Flüchtlingsströme, die AfD, Corona, KI oder der Klimakollaps. Und was geschieht, wenn es näher rückt? Wenn es weniger Ausweichmöglichkeiten gibt? Wenn es uns betrifft, ob wir wollen oder nicht? 

Unsere Reflexe werden stärker. Es dreht sich schneller in uns. Wir werden enger, hektischer, unüberlegter und impulsiver in unseren Reaktionen. In dem Versuch, unter Kontrolle zu behalten, was längst außer Kontrolle geraten ist. In dem Versuch, die Ohnmacht nicht zu spüren hinter der Illusion, es jemals unter Kontrolle gehabt zu haben.

Was habe ich mich mein Leben lang angestrengt in diesem Ringen darum, die Ohnmacht nicht zu spüren! Und wie sehr konnte ich mich entspannen und weiten mit jedem Gramm Kontrolle, das ich erkennen und aufgeben konnte?! Geländer, die mir Halt gegeben und gleichzeitig wunderschöne Räume und Möglichkeiten verschlossen haben. 

Ich habe begonnen, zu forschen: Was geben die Geländer mir? Wann brauche ich welches? Wann behindert mich welches eher, als dass es mir dient? Vorsichtig und freiwillig darauf zu verzichten, hat mein Leben fundamental verändert. Ich habe erfahren, wie es ist, dem Leben zu lauschen. Gemächlich und mit Muße meinem inneren Kompass zu folgen.

Ich fange an, Menschen und Beziehungen die Bedeutung zu geben, die sie ohnehin haben. Auch wenn ich es gelernt hatte zu leugnen. Ich verzichte freiwillig auf all die mehr oder minder subtilen und intelligenten Wege, Menschen – vor allem anderen mich selbst – zu manipulieren und auszunutzen. Weil ich verstanden habe, dass es mir nie dabei gedient hat, meine tiefsten Bedürfnisse zu erfüllen. Dass es – im Gegenteil – ihre Erfüllung tatkräftig verhindert hat.

Ich interessiere mich EN DETAIL für all die hässlichen Mechanismen in mir, die Kultur geprägt und genährt hat – die mich selbst aber beinahe verhungern ließen, während ich mitten im Schlaraffenland saß. 

Die mir das Bestmögliche versprachen, während sie mich lehrten, mir systematisch Er-Füll-ung zu verbieten und jedes kleine Auftauchen in mir schnell wieder zu nichten. Indem ich es an etwas Größerem maß. Indem ich mich schnell ermahnte, weil ich kurz vergessen hatte, was alles noch längst nicht gut war. Indem ich sofort weiter rannte, bevor ich es getrunken und mir zu eigen gemacht hatte.

Ich beginne, mich selbst zu würdigen – darin, wie unendlich viel mir das ausgemacht hat, was unsere Kultur mich gelehrt hat. Wie viel Beharrlichkeit es braucht, was geschunden und vertrieben wurde, wieder aus der Versenkung zu befreien. Mich in Ruhe daneben niederzulassen, es zu entstauben, zu polieren, zu untersuchen und wieder einzuladen, zu mir zu gehören. Und ich merke, wie ich mich immer vollständiger fühle dabei. 

Wer hat eigentlich – und vor allem warum?! – gesagt, dass ich besser bin, wenn all das NICHT zu mir gehört?

Ja, ich weiß: Wir sind unmerklich ins Patriarchat hineingewachsen, dass es brauchte, dass wir nicht das tun, was WIR, sondern was wenige andere wollen. Nur sind wir dadurch genau dorthin gekommen, wo wir sind: Vor die Wand. 

Es ist Zeit für etwas Neues. Zeit, etwas zu gebären, was es noch nie gegeben hat. Zeit für echte tiefe Integration. Damit die Kämpfe aufhören können. Du weißt, wo du mich findest.

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